Wieso positives Denken nicht immer “funktioniert”
Vor 3 Tagen hatte ich ein Gespräch mit einer Bekannten von mir. Diese saß vor mir und ermahnte sich selbst immer wieder, dass sie nur positives Denken anwenden muss und alles kommt wieder in Ordnung. Ihr kennt das bestimmt: „Ach, das klappt schon, ich muss positiv denken! Was sage ich denn da, nein, ich bin das schon!“ Ich war gerade zu sehr mit anderen beschäftigt und ging nicht so richtig auf die Worte ein, doch irgendwann stellte sie einem Satz eine Frage an: „Oder nicht, was denkst du?“

Ich hielt inne und erklärte ihr, dass ich das mit dem positiven Denken etwas anders sehe.

In den letzten Jahren hat sich vor allem durch das Buch „The Secret“ und dank auch großartiger Lehrer wie Dr. Murphy geradezu ein Zwang in der spirituellen Szene entwickelt positiv zu denken. Ich habe die Geschichte schon einmal erzählt, dass ich im Jahr 2004 das erste Mal in Indien war und mich damals für ein paar Monate mit meinem Verstand beschäftigt habe.

Damals besuchte ich einen Tempel und bevor die Touristen und auch die Inder den Tempel betreten durften, mussten sie eine Kokosnuss stellvertretend für ihr Ego auf dem heiligen Boden vor dem Tempel zerstören. Ich schlug also mit der Kokosnuss auf dem Boden, um sie zu zerstören und dachte währenddessen nach: „Ich zerschlage also gerade meinen Verstand, mein Ego, meine Gedanken, aber wieso sollte ich das tun?“

Eigentlich sehr interessant: Der Osten sucht das „Nicht-denken“ und der Westen das „Positive-denken“.

Aber zurück zur Kokosnuss:

Natürlich, der Verstand hat in unserer Gesellschaft eine zu große Bedeutung, dem stimme ich zu, aber zerstören? Ist es wirklich sinnvoll und geht das überhaupt? Ich habe das mit der Kokosnuss dann lieber sein gelassen und erwischte mich in den darauffolgenden Monaten immer wieder dabei, wie ich versuchte das Feld des Verstandes zu lesen. Ein sehr schwieriges Unterfangen. Aber damals habe ich für mich eine Erkenntnis gewonnen. Das lag vor allem auch daran, dass ich für einige Zeit versucht habe „nicht zu denken“.

Ja, genau, nicht zu denken, so wie Erleuchtete es uns immer wieder Nahe bringen. Die Lücke zwischen den Gedanken finden und dann in diese Stille eintauchen. Ich hatte Momente in denen ich in der Stille war, da waren auch Momente in denen ich vielleicht sogar in einem Zustand war, den man als „Erleuchtung“ bezeichnet. Vollkommene Stille, kein Gefühl mehr für Zeit und Raum, kein Gefühl mehr des Ichs, sondern ein Verwoben-sein in alles, was ist.

Aber spätestens nach 3 Stunden war ich wieder ganz der Alte oder zumindest nach 3 Tagen.

„Also, das mit der indischen Lehre geht so nicht!“, dachte ich mir und entschied mich dann für den westlichen Weg. Also doch Murphy und das positive Denken (The Secret war damals noch nicht geschrieben). Auch dies praktizierte ich ein paar Wochen und hatte immer wieder dieses Gefühl mich selbst zu belügen. Dieses Gefühl mich zu belügen, hörte einfach nicht auf. „Vielleicht bin ich einfach unfähig?“, fragte ich mich oft.

Als Empath ist es mir möglich die Gefühle anderer relativ schnell wahrzunehmen, in allen Details und Facetten. Ich kann dann in das Feld eines Gefühls eintauchen und hindurchtauchen, bis sich andere Gefühle offenbaren. Und mir wurde dabei klar, wieso das mit dem positiven Denken nicht wirklich immer klappt. Zwar habe ich die Lösung nicht in mir gefunden, denn meine Gefühle zu lesen ist sehr schwierig, aber zumindest durch den Blick auf andere wurde mir dann klar, wieso es nicht klappt mit dem positiven Denken. Und das Phänomen, das ich jetzt beschreibe, tauchte immer wieder in den Menschen auf:

Nehmen wir an da ist die Hannah, die ist 27 Jahre alt und fühlt sich in ihrer Haut nicht wohl. Sie hätte gerne mehr Selbstvertrauen, mehr Selbstliebe und sie würde sich gerne schön finden. Doch irgendwie gibt es abgesehen von ihrem Bauch so rein gar nichts, was sie an sich schön findet. Und auch ihre Persönlichkeit missfällt ihr, denn sie ist oft sehr aufbrausend und sie gibt viel zu schnell auf, wenn sie etwas verändern möchte. Sie findet auch positive Eigenschaften, aber die Negativen überwiegen irgendwie.

Sie fängt also mit dem positiven Denken und den Affirmationen an.

„Ich bin schön“, „ich liebe mich selbst“, etc. Und das mindestens 100 mal am Tag. Sie macht sich Zettel an den Spiegel, so dass sie bei jedem Toilettengang oder dem Blick in den Spiegel, was seltener geschieht, daran erinnert wird, dass sie sich selbst liebt.

Sie macht sich Zettel an den Spiegel, so dass sie bei jedem Toilettengang oder dem Blick in den Spiegel, was seltener geschieht, daran erinnert wird, dass sie sich selbst liebt.

Am Anfang geht das nicht so gut, aber sie bleibt am Ball, aller Anfang ist schwer. Und schließlich hat sie sich selbst (oder jemand anderes) ja irgendwann eingeredet, dass sie hässlich, klein und minderwertig ist, sie ist ja nicht so geboren. Also kann sie es sich ja auch wieder ausreden. Manchmal wenn sie ihre Affirmationen nutzt und positiv denkt, hat sie das Gefühl, dass es funktioniert. Sie spürt einen Aufwind, eine Kraft, da in sich und irgendwie scheint es in ihr heller zu werden. Doch irgendwann fällt sie wieder in den alten Trott und blickt nach wie vor mit Missmut in den Spiegel.

Was ist geschehen?

Aus der Sicht von energetischen Feldern ist dies zu erklären, denn natürlich sind Gedanken schöpferisch und erzeugen ein Informationsfeld. Dadurch, dass sie den Gedanken immer wiederholt, verfestigt sich dieses Informationsfeld auch und kann spürbar werden. Das sind dann die Momente, in denen es hell wird und Hannah das Gefühl hatte, dass die Affirmationen etwas bringen. Doch es ist nicht nur der Geist der Schöpferisch wirkt, sondern es ist die Gesamtheit des Menschen.

Vielleicht gibt es jetzt ein paar Menschen, die denken: „Ja, genau es fehlt das Gefühl! Sie muss es fühlen!“ Falsch ist das ganz sicher nicht, denn die Gefühle sind der Treibstoff für jede Form von Energiefelder, aber es sind auch genau die Gefühle in ihr, die das Informationsfeld daran hindern lebendig zu werden. Es bringt ihr auch nichts zu fühlen, dass sie sich liebt und sie sich schön findet, denn dieses Gefühl wird nie die Tiefe erreichen, die es braucht um Realität zu gestalten.

(Informationsfeld= mental erschaffen durch Gedanken, kommt dazu eine Regelmäßigkeit und Gefühle entsteht ein Energiefeld, eine lebendige Information. Wird dies weiter verfestigt, entsteht ein Elemental=Realität)

Hannah wurde als 7 jährige von ihrem alkoholkranken Vater immer wieder körperlich und emotional missbraucht, bis er die Familie, als Hannah 9 Jahre alt war, verlassen hatte. Verzeiht mir bitte jetzt dieses traurige Beispiel in dem Artikel. Dadurch hat Hannah nicht den Gedanken erschaffen, dass sie unwürdig ist, nein, sie hat es gefühlt und dann angefangen zu glauben! Sie hat sich minderwertig gefühlt, einsam gefühlt. Und hier ist genau der Haken: Sie kann zwar denken, dass sie sich schön und groß findet, aber dieser Gedanke kann niemals Realität werden, kann niemals ein lebendiges Energiefeld werden, dass sich dann im Außen und Innen realisiert. Der Gedanke sagt: „Ich bin schön“, das Gefühl: „ich fühle mich so hässlich“, .Ergo, das Gefühl der Minderwertigkeit bleibt bestehen. Es entsteht im Inneren ein Kampf gegen den Verstand und diesen Kampf kann kein Mensch auf Erden gewinnen.

Die Lösung wäre sich diese Minderwertigkeit ins Bewusstsein zu holen, zu fühlen, zu spüren, wie klein und hässlich sich Hannah findet und sie sich erlaubt zu weinen.

Es sind nicht nur die Gedanken, die unser Leben bestimmen, sondern vor allem die emotionalen Verletzungen, die wir mit uns tragen.

Es geht nicht darum positiv zu denken oder sich etwas einzureden. Auch geht es nicht darum zu versuchen, das Gegenteil von dem zu fühlen, wie man sich eigentlich fühlt. Es geht darum sich der tiefsten emotionalen Verletzungen bewusst zu werden, sie zu fühlen. Es geht darum zu schreien, zu weinen, sich selbst zu nähren und im Schmerz zu halten.

Wenn Hannah sich das erlaubt, und zugegeben, es ist nicht einfach den alten Schmerz, diese Gefühle in sich wahrzunehmen, dann können sich die Gedanken verändern. Ein Grund übrigens, wieso es uns so schwer fällt diese Gefühle in uns zu spüren, ihnen einfach zu erlauben, da zu sein, ist gerade unser Geist, es sind unsere Gedanken: Mit einem jeden Mal, wenn wir denken: „Das darf jetzt nicht hoch! Das ist nicht der richtige Zeitpunkt!“, mit einem jeden Mal, wenn wir uns ablenken, wenn ein Gefühl sich zeigt, mit jedem Mal, wenn wir in entgegengesetzter Richtung denken (ich fühle mich hässlich = „ich bin schön!“) schieben wir dieses Gefühl noch tiefer in unsere unbewussten Ebenen hinab und es fällt uns schwieriger sie zu greifen.

Was also tun?

Wir möchten schön sein, wir möchten glücklich sein, wir möchten uns selbst lieben, wir möchten ein dickes Bankkonto haben.

Dann lasst uns etwas anderes tun, als das Erwünschte herbei zu denken:

Erlauben wir uns, uns hässlich zu fühlen! Ja, das meine ich vollkommen ernst.

Lasst uns erlauben, dass das Gefühl des Nicht-Glücklich-Sein in uns Raum einnimmt!

Und: Erlauben wir uns diese mangelnde Selbstliebe zu fühlen und auch die Existenzangst einmal wirklich wahrzunehmen!

Dann tauchen wir ein in diese Gefühle, die ja so „negativ“ sind. Dann spüren wir sie, wir sehen sie und wir halten und trösten sie.

Wir fühlen und nichts kann uns ablenken. Nicht weil wir das Gegenteil erfahren wollen oder eine Absicht hätten, nein, wir fühlen einfach nur.

Wir sind einfach präsent, liebevoll präsent und spüren den Schmerz.

Dann sehen wir uns selbst! Wir erfahren dann die Heilung und den Segen, die wir uns all die Zeit gewünscht haben. Einfach nur, durch das Fühlen, durch das automatische Hindurchgehen der Facetten des Schmerzes.

Wir werden auf der anderen Seite des Flusses wieder auftauchen und uns ganz fühlen. Dann können wir beginnen, wenn es noch notwendig ist, das Gefühl, dass wir uns eigentlich doch schön und toll finden durch unsere Gedanken zu verstärken. Doch zuvor gilt es diesen Fluss zu durchschwimmen, auch wenn wir glauben, dass wir ertrinken könnten in diesem tiefen, dunklen Wasser des Flusses. Auch, wenn wir glauben, dass wir nicht mehr den Weg finden oder wir die Angst haben, dass das Wasser zu kalt für uns ist.

Danke für dein Zuhören.

Alles Liebe

Georg

P.S. Es kann sein, dass ich in 5 Jahren anders darüber denke und meine Wahrheit muss nicht auch deine Wahrheit sein! Beachtet dies bitte.
Weitere Beiträge